lois weinberger
AN DEM SICH
DAS LEBENDIGE /
SICHTBAR ÜBER
DAS ORDNENDE ZEIGT /
WO DIE UNMÖGLICHKEIT
EINER VERNICHTUNG /
IMMER WIEDER
AUS IHREM GEGENTEIL /
AUS DENKBAREN FOLGEN
DES NICHTSTERILEN /
Über das Werk
Lois Weinberger hat mit seiner Arbeit den Blick auf die Natur und den Umgang mit ihr nachhaltig verändert. Sein Interesse galt den Randzonen, den Brachen und ihrem Bewuchs. Die Beschäftigung mit Ruderalpflanzen ist Ausgangspunkt für seine Aktionen im Außenraum, für seine Skulpturen, Zeichnungen und Textarbeiten. Die Rückeroberung und Umwandlung von Kultur- in Naturraum stand dabei im Fokus seiner künstlerischen Arbeit. Wegweisend dafür wurde eines seiner weltweit bekanntesten Projekte, das er 1997 für die documenta X realisiert hat. Dort verwandelte er die stillgelegten Bahngleise des Kasseler Kulturbahnhofs in eine blühende Naturlandschaft, indem er Neophyten aus Südosteuropa aussäte. Mit der Einführung dieses „Unkrauts“ schuf er eine Metapher für alles Unerwünschte und Unwerte und löste damit ein Nachdenken über Migration und Fremdheit als Randerscheinung unserer Gesellschaft aus. In diesem Wildwuchs äußert sich aber auch sein botanischer Widerstand gegen die Symptome der modernen Zivilisation, die versucht, alles Natürliche zu kontrollieren und zu eliminieren, was nicht in die Norm passt. Lois Weinberger war nicht daran interessiert, Kunst im Sinne einer schöpferischen Gestaltung zu produzieren, sondern ließ vielmehr die Natur gewähren. Seine Wild Cubes zum Beispiel, die Anfang der 1990er-Jahre entstanden sind, dienen als eine Art Schutzkäfig der Aufforstung durch Spontanvegetation, die sich ohne menschliches Zutun ergibt. Mit dieser Umkehrung, dem Schutz des Anarchischen, stellt er herkömmliche Hierarchien infrage und wird damit zum Anwalt des scheinbar Nutzlosen.
Die Wertschätzung des Andersartigen, Ungezähmten spiegelt sich auch in seinem Interesse an den Praktiken der Naturvölker und des Schamanismus wider. Ein Beispiel dafür gibt die in der Ausstellung präsentierte Tuschezeichnung Grow von 2009. Sie verweist mit ihrem maskenhaft verzerrten Gesicht auf das mystisch-schamanische Potenzial der Natur. Auch der Zeichnung eines Baums, Green Man von 2006, scheint ein geheimes Leben innezuwohnen. Die frühe Fotoarbeit Mohn ausgesät von 1993 dokumentiert dagegen die von Weinberger entwickelte Strategie des subversiven Pflanzentransfers. Dabei setzte er in abseits gelegenen, unbewohnten Gebieten und Brachen Pflanzen aus, deren Entwicklung er über Jahre verfolgte und betreute.
Der 2020 verstorbene Tiroler Künstler Lois Weinberger hinterlässt mit seiner ephemeren Kunst einen bleibenden Fußabdruck. Seine visionären, poetischen Arbeiten tragen zu einem neuen Verständnis für unsere natürliche und soziale Umwelt bei.
Lebenslauf
Lois Weinberger (* 1947 in Stams/Tirol, † 2020 in Wien) arbeitete an einem poetisch-politischen Netzwerk, welches den Blick auf Randzonen lenkt und Hierarchien unterschiedlicher Art infrage stellt. Er verstand sich als Feldarbeiter und begann in den 1970er-Jahren mit ethnopoetischen Arbeiten, welche die Basis bildeten für die seit Jahrzehnten entwickelte künstlerische Auseinandersetzung mit dem Natur- und Zivilisationsraum. Ruderal-Pflanzen („Unkraut”), die alle Bereiche unseres Lebens tangieren, sind Ausgangs- und Orientierungspunkt für Notizen, Zeichnungen, Fotos, Objekte, Texte, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum. 1991/92 entwirft Weinberger den Wild Cube, eine Torstahl-Einfriedung, in der die Aufforstung durch Spontanvegetation erfolgt. Gleichzeitig beginnt Weinberger mit den subversiven Pflanzentransfers in angeeigneten Gebieten der Stadt wie im Landschaftsraum. 1993 entsteht die Arbeit Brennen und Gehen. Weinberger reißt im Sommer für das Festival der Szene Salzburg den Asphalt auf und überl sst das eingefriedete Gebiet sich selbst. 1997 wird diese Arbeit zur documenta X auf dem Parkplatz des Kulturbahnhofs und 1998 in Tokio erneut installiert. Ebenfalls zur documenta X bepflanzt Weinberger ein stillgelegtes Bahngleis mit Neophyten aus Süd- und Südosteuropa, das zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit seinen poetisch-politischen Bezügen weit darüber hinausweist. 2009 wird Lois Weinberger in den österreichischen Pavillon der Biennale Venedig eingeladen und 2017 zur documenta 14 in Athen und Kassel. Weinberger hat mit seiner Arbeit die neue Debatte zu Kunst und Natur von den frühen 1990er-Jahren bis heute maßgeblich mitbestimmt. Er hielt weltweit zahlreiche Vorträge und Vorlesungen. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kunstpreis der Klocker-Stiftung Innsbruck, dem Würdigungspreis für bildende Kunst des Landes Nieder sterreich und dem Tiroler Landespreis für Kunst. Er erhielt das Ehrenzeichen der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, den Würdigungspreis für Bildende Kunst, Akademie der bildenden Künste Wien, sowie das Große Kunststipendium des Landes Tirol.