Bradford kessler
über das werk
In seinen verspielten, abgründigen Arbeiten untersucht der amerikanische Künstler Bradford Kessler die Ambivalenz der menschlichen Natur. Ihn interessiert, welche Faktoren das menschliche Verhalten beeinflussen und auf welche Weise es genetisch, biologisch oder kulturell bestimmt wird. Dabei fließen wissenschaftliche Erkenntnisse von der Anthropologie bis zur Neurobiologie, aber auch die Welt der Mythologie in seine künstlerischen Überlegungen ein.
Seine figurative Plastik erinnert an einen vegetabilen Totenschädel, der mit verschiedenen Insignien der Trauer – Flor und Schleier – geschmückt ist. Während die äußere Erscheinung durchaus mensch liche Züge trägt, offenbart der zwiegespaltene Kiefer das Gebiss eines Raubtieres. Die beiden Teile des Schädels werden von einer Stahlspindel gehalten, die ein Zubeißen unmöglich machen. Bradford gibt seiner Plastik den Untertitel Gargoyle und referiert damit auf die Tradition der grotesk-figürlichen Kreaturen, die in der gotischen Baukunst als Wasserspeier Dächer und Mauern von Kirchen zieren. Sie sollten der Abwehr des Bösen dienen und fanden als Vorbild für unterschiedlichste Phantasiegeschöpfe Eingang in die Populärkultur. Tragen die Chimären des Mittelalters zuweilen auch menschliche Züge, dreht Bradford Kessler das Verhältnis um und verleiht seinen Figuren – auch den gezeichneten – animalische Charakteristika. Sie stehen in starkem Kontrast zu der artifiziellen Erscheinung, die sich in seiner Wahl der Materialien – Kunstharz, Glas, Textilien – äußert. Der Künstler provoziert damit ein poetisches Bild für den Ausnahmezustand der Menschheit, die sich in ihrer Künstlichkeit immer mehr von der Natur entfernt, ihr aber auch nicht entkommen kann. Die allegorische Verwendung des Raubtiergebisses lässt viel Spielraum zur Reflexion: Ist der Mensch ein fleischfressendes Raubtier? Ist sein Verhalten angeboren oder evolutionsgeschichtlich bedingt? Gibt es noch ein Einvernehmen mit der Natur? Die Funktionslosigkeit der Kieferapparatur zeichnet ein düsteres Bild. Statt Wasser zu spucken, zeigt Bradford Kesslers Adaption eines Wasserspeiers gläserne Tränen, mit denen er den Zustand der Welt pathetisch zu beweinen scheint.
Lebenslauf
Veränderungen und Vorahnungen sind wesentliche Grunderfahrungen des amerikanischen Künstlers Bradford Kessler (* 1982 in Kansas), dessen allegorische Werke als „diabolische Symphonie aus sich verschiebenden Kindheitsvorstellungen und verdrehten darwinistischen Algorithmen“ beschrieben werden. Eingebettet in dieses Geflecht sind pers nliche Spuren von Kesslers Kindheit im sogenannten Bible Belt des Mittleren Westens. Sein breit gef chertes Werk umfasst scharfkantige Leinwände, maßgeschneiderte Waffen und biomorphe figurative Skulpturen. Sie alle teilen eine einzigartig düstere Vision, die sich auf die Animalität der menschlichen Natur beruft, um widersprüchliche Impulse in Bezug auf Verhaltensregeln, Zivilisation, technologischen Fortschritt und institutionalisierte Theologien anzusprechen. Zwischen 2005 und 2010 lebte Kessler in verschiedenen Teilen Asiens, unter anderem in Peking, China, wo er als Studioassistent des Künstlers und Aktivisten Ai Weiwei arbeitete. Kessler hat an der Parsons The New School for Design, der School of Visual Arts und der Columbia University in
New York gelehrt. Seine Arbeiten wurden unter anderem bei Electronic Arts Intermix, Anthology Film Archives, New York, und
auf der Art Basel in Miami Beach mit Printed Matter, New York, und Esther Schipper, Berlin, ausgestellt. Er ist der Gründer der Prairie Fortress Press mit Sitz in Lebanon, Kansas, und seine ver ffentlichten Werke werden bei Printed Matter, New York, und Art Metropole, Toronto, vertrieben. Jüngste Einzelausstellungen fanden in der Kunsthalle Wichita in Kansas, bei Interstate Projects in Brooklyn sowie in der Galerie Valentin in Paris statt.